Ein Freund hatte ihm einen Kombi geliehen und Lena war zum Umzug mitgefahren. Sie waren froh, als die Fahrt auf dem vielspurigen, vielbefahrenen Stadtring von Paris überstanden war. Sie schleppten die Kisten hoch, die edlen Treppen hinauf unters Dach, wo früher das Personal der feinen Herrschaften gewohnt haben mochte, mit gewöhnungsbedürftigem Plumpsklo. Es gab einen kleinen Balkon mit Liegestuhl. In den sich Paul fallen ließ. Erschöpft. Ungewiss, was kommen würde. Zufrieden auch.

Man konnte von oben auf die Lichter der Stadt sehen, den Eiffelturm, die erleuchteten Fenster gegenüber in der engen Straßenschlucht. Den Bois de Boulogne dahinter. Sie verbrachten Urlaubstage, labten sich an zahlreichen Flanby, die sich so schön stürzen ließen, nachdem man das Aluplättchen von der Packung abgezogen hat, stiegen die Treppen zum Eiffelturm bis zur ersten Plattform hoch. Paul ließ Papierflieger hinuntersegeln, konnte ihrem Flug lange nachsehen, sah Bänke und Leute von oben, wie bei einer Spielzeugeisenbahn.

Sie besuchten Notre Dame und die Pont-Neuf, gingen auf einen Flohmarkt. Sie erstand ein altes Beinkleid, er eine in Brauntönen gemusterte Seidenweste. Kleidung aus dem 19. Jahrhundert. Sie besuchten das Grab von Chopin auf dem Friedhof Père-Lachaise, wo sie eine Rose niederlegte.

Nach ein paar Tagen war sie zurückgegangen nach Deutschland. Nun war Paul alleine. Er blieb auf Distanz zur Stadt, sprach mäßig französisch. Suchte nicht gleich Anschluss bei anderen Leuten. Ließ sich auf sich selber zurückfallen. Das war die Gelegenheit für Paul, eigene Wünsche bewusster werden zu lassen. Vielleicht Alternativen zur Theologie. Tatsächlich ging ihm Verschiedenes durch den Sinn. Lehrer für Deutsch und Musik, Psychologie, Sozialpädagogik. Auch kam ihm einmal der Gedanke, er wolle nie mehr etwas mit Theologie machen. Es blieb sprunghaft. Paul war sprunghaft, vielseitig auch.

Und nun sah er sich vor der Aufgabe, als Ausländer in der Großstadt zurechtzukommen. Den früheren Gedanken, nach einem Praktikumsplatz bei einer Kirchengemeinde zu suchen – ein paar Anfragen hatte er ergebnislos von Deutschland aus geschickt – verwarf er. Er hatte keine Motivation dafür. Auch für die Jobsuche war er nur mäßig motiviert. Zumal die Jobs bei vielen Anzeigen auf Personen unter 26 Jahren beschränkt waren, Paul aber vor einem halben Jahr diese Schwelle genommen hatte. Zu alt offensichtlich. Zu alt für jugendliche Unbekümmertheit. In Frankreich hatte man auch als Student mit spätestens 25 Jahren fertig zu sein, später gab es jedenfalls keine Studentenermäßigung mehr.

Und dann ging es in die Richtung: ohne die carte de séjour für die Aufenthaltsberechtigung ab drei Monaten keine Arbeit, ohne Arbeit keine carte de séjour. Normale Schwierigkeiten für einen Ausländer, vergleichsweise harmlose, die bisher im beschaulichen, behüteten Tübingen ein Diskussionsthema, ansonsten aber weit weg geblieben waren.

Da gab es ein Angebot, als Sänger bei einer Musikproduktion mitzuwirken. Es stellte sich als Versuch heraus, für teures Geld Studioaufnahmen zu machen und dann angeblich Kontakte zu Plattenfirmen zu vermitteln. Da gab es die Möglichkeit, unter einer rustikalen fränkischen Chefin, jünger als Paul, die gleich zu Beginn erklärte, sie werde immer misstrauischer,  Telefonmarketing in Deutschland zu machen. Das hieß, Leute telefonisch über Produkte zu befragen oder ihnen Produkte zu verkaufen, die sie eigentlich gar nicht haben wollten. Vollkommen sinnlos.

Später passte er ein paar Stunden auf drei Jungen aus einer wohlhabenden Familie auf. Er scheiterte kläglich bei dem Versuch, sie zu bändigen. Schließlich hatte er einen Übersetzungsauftrag begonnen, zu einem Hungerlohn. Zu Ende gebracht hatte er ihn nicht.
 


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Salabam