So gesehen war er gescheitert. Paris hatte seine Härte gezeigt. Kommerz. Der zum Abriss der Markthallen geführt hatte. Und sich mit einem inhumanen Schönheitsideal verband, das sich ausdrückte in einer Werbung auf einem Bus für ein Schlankheitsmittel: „Ich trage den Badeanzug meiner achtjährigen Tochter.“

Paul erfuhr, dass er nicht zum Lebenskünstler taugte. Wofür man selbstbewusster auftreten und pragmatischer handeln müsste. Er war froh, es versucht zu haben. Sonst wäre der Zweifel geblieben. Ob anderswo nicht das bessere Leben für einen wäre. Es gab keinen Ausstieg,  es gab nur einen Umstieg. Der zunehmend schwieriger und unwahrscheinlicher wurde. Und verglichen mit den Jobangeboten in Paris erschien ihm die Möglichkeit, ein Vikariat zu machen, deutlich angenehmer. Die Frage, wie es weitergehen sollte, bekam nun einen anderen Klang, nämlich: was ist jetzt noch möglich?

So ohne äußere Verpflichtung ließ sich Paul manchmal von der Trägheit vereinnahmen, kam erst spät aus dem Bett und noch später aus dem Haus. Manchmal gab es für ihn aber auch Momente großer Wachheit, so beim Musikhören daheim. Wie beim letzten Satz der Beethovensonate „Appassionata“ mit ihrem durch verschiedene Stimmungen wiederkehrenden, eingängigen, perlenden und vorwärts treibenden Motiv. Er fand Muße, die aktuelle Platte von Sting mit den jaulenden „hounds of winter“ zu würdigen oder unbekanntere französische Chansons wie die von Yves Simon zu entdecken, im Geist der 60er Jahre, engagiert, frei, zuweilen auch etwas pathetisch, manchmal zart und innig. Und dann wieder wunderbar einfach: „je vie ma vie, je vie, c’est tout“,

Zwischenzeitlich hatte Paul das Zimmer einer Freundin aus Tübinger Studienzeiten übernehmen können. Während ihrem Auslandsstudium in Paris hatten sie manchmal zusammen etwas unternommen, so eine Fahrt nach Versailles mit seinem riesigen Schlosspark samt Bauernhof. Nun war das Zimmer freigeworden, in einer WG mit einem Architekten. Im 11. Arrondissement, der Heimat von Edith Piaf. Wo es manchmal etwas von dem Paris gab, das sich Paul erträumt hatte. Wo zahlreiche Nationen zusammenlebten. Wo Paul mit einem philosophisch gebildeten Sozialisten in der Kneipe diskutieren konnte, der so einen gewitzten Blick hatte und den bemerkenswerten Satz sagte: „Les femmes sont dur à Paris.“ Wo es ein buntes, lebendiges Markttreiben gab. Fröhliche dicke schwarze Frauen in bunten Kleidern und großen Wäschesäcken für den Waschsalon.

So verging der Sommer. Paul lief über den Friedhof Père-Lachaise. Er war gerne dort. Diesmal traf er ein sympathisches Paar aus Liverpool, das er am Grab von Edith Piaf fotografierte. Es war so friedlich auf diesem Friedhof. Es gab viel Raum, Weite, Ruhe, Baumalleen. Und nun schon ein klares herbstliches Licht.

Herbst. Zeit für Paul, nach Deutschland zurückzukehren.

    Salabam (2006)