Paul in Paris

Paris.

Paul war gerade angekommen hier. Ein Suchender. Er hatte weggehen wollen, aussteigen. Während einer Klausur für das theologische Examen hatte er aus dem Fenster geblickt. Fühlte sich weit entfernt. Als habe das alles nichts mit ihm zu tun. Als brauche er das nicht.

Er hatte weitergemacht, er wollte nicht kurz vorher aufgeben. Er bestand.
Und hatte immer noch diesen naiven Freiheitsdrang. Wollte nicht in eine mit vielen Zwängen behaftete theologische Laufbahn – angefangen mit dem Vikariat – einsteigen, jedenfalls nicht gleich.

Der Freiheitshunger war noch nicht gesättigt worden in der Schul- und Studienzeit. Wo ja eigentlich viel Freiheit möglich ist. Eigentlich. Jedenfalls war bei Paul dieser Impuls da. Wegzugehen. Es hatte etwas von einer Flucht.

Und es war auch klar, wohin er gehen wollte. Er war mit der Familie als Schüler in Paris gewesen. Da war sie schon da gewesen, diese Faszination bei der Autofahrt vom Süden durch die Stadt bis zu Les Halles, dem früheren Bauch von Paris. Ohne dass sich das an einem konkreten Platz, an einem konkreten Anlass festmachen ließe. Ein paar Jahre später war er nochmals mit der Familie für ein paar Tage da gewesen. Mit einem Besuch im Monetgarten in Giverny. Paul mochte die impressionistischen Maler, mochte Debussy. Die Impressionisten waren mit Paris verbunden. Ihr Sinn für Leichtigkeit, ihr Sinn für Schönheit passten für Paul zu der Stadt. Genau wie die melancholischen Chansons von Edith Piaf, die ein sehnsuchtsvolles Akkordeon begleitete.

Auf der zweiten Reise nach Paris war ihm ein Bild gekommen. Hier als Kellner arbeiten. Frei. Glücklich. In dieser großartigen Stadt.

Das Bild des Kellners war verblasst. Die Faszination für die Stadt aber war geblieben. Gegen Ende des Studiums war bei Paul dieses Unbehagen aufgetaucht, nun bald in Zwänge zu kommen, aus denen dann kein Entrinnen mehr möglich wäre. Der Abschied vom studentischen Leben fiel ihm schwer, hatte es ihm doch sehr entsprochen.

Nach dem Studium stand Paul mit Zweifeln da, ob sein Glaube stark genug wäre. Stark genug, um einmal Pfarrer werden zu können. Um überzeugend zu predigen. Um Menschen im Glauben zu stärken. Er, den selber immer wieder Zweifel überkamen. Manchmal bis dahin, ob es überhaupt einen Gott gibt.

Mehr beschäftigte ihn die Frage: wenn es einen Gott gibt – warum gibt es dann soviel Leid, in Auschwitz und Srebrenica? Das willkürlich auch viele Unschuldige trifft. Wenn Gott darüber Macht hatte und das wollte – welchen Sinn sollte das haben? Er konnte sich keinen vorstellen. Oder Gott hatte darüber keine Macht, sondern ein Teufel oder der in Freiheit entlassene Mensch, mit einem Potential zum Göttlichen und zum Teuflischen. Solch ein schwacher Gott rang dann entweder mit dem Teufel und verlor dabei immer wieder oder er war zum unbeteiligten oder wenig beteiligten Zuschauer geworden, der aus der Ferne auf die Weltkugel blickte.

Paul war Zweifler, Skeptiker. Der zugleich auch seinen Platz suchte. Dabei sein wollte. Da, wo es noch am besten passte. Jetzt hatte er nach Paris gehen wollen. Ohne durchdachten Plan. Ohne Arbeit. Und dem Privileg, dank eigenem Vermögen nicht gleich auf eine Arbeitsstelle angewiesen zu sein.

Pauls Zimmernachbar im Studentenwohnheim hatte sich ausgemalt, Paul würde in Paris in einer Dachkammer sitzen und sinnlose Gedichte schreiben. Ein Dachzimmer hatte Paul schon einmal gefunden, im vornehmen Neuilly, nördlich vom Bois de Boulogne.


 

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Salabam