1

Vielleicht waren die Signale ihrer Seele nur Fiktion – verschwunden
jedesmal, wenn von Gesprächsfetzen vorbeigehender Menschen
Wörter und Phrasen sich in ihr Hirn drängten und überlaut immer
stärker und immer stärker alles verschlangen, so dass sie gezwungen
war, mitzudenken, was andere ihr ohne ihrWissen aufzwangen: sinnlose
Formeln, durchsetzt mit der Harschheit der Stimmen.
Diese Stimmen waren niemals sanft und leise und
sie trugen selten nur sublime, feinsinnige Gedanken zu ihr.Wie in der
Evolution gewann das, was stark und plump sich Recht verschaffte.
Sie brauchte manchmal eine ganze Stunde, um diese Verschmutzung
ihrer Seele wieder rückgängig zu machen, und nachher war sie so leer
und ausgebrannt, dass keine Energie mehr übrigblieb, um sich ihrem
Selbst hinzugeben, und sie den Rest des Tages dumpf und mechanisch
irgendwelchen Abläufen folgte, die keine eigenen Entscheidungen
und dadurch auch keine Energie forderten. Nachts lag sie dann
lange wach und versuchte zu verstehen, wie Menschen es schafften
mit all diesen Reizen die auf ihre Ohren, Augen und ihre Gedanken
einstürmten, so leicht und spielend fertigzuwerden, sie für sich zu
nutzen, sich von ihnen treiben zu lassen. Sie beneidete die Menschen
keineswegs, sie wusste, so wie sie war, das würde sie nie eintauschen
wollen. Und doch wollte sie lernen, sich von ihnen Regeln und Kniffe
abschauen, die ihr helfen sollten, einen Schutz gegen diese Reize zu
bauen, damit sie mehr Energie übrig hatte für Dinge, die ihr soviel
wichtiger waren.

2


Die Signale der Seele – wenn sie jemand gefragt hätte, dann hätte
sie stundenlang erzählen können, überall wesentlich, überall nah an
sich selbst, die endlosen Betrachtungen der Dinge um sie herum und
in ihr drin ermüdeten sie nie. Niemals hatte sie ein Gespräch abbrechen
können, das klar und voller Kraft von ihr so bekannten Klüften
und Höhen handelte. Sie hingegen, die anderen, wagten sich nur hier
und da dorthin und kehrten so schnell und so ermüdet und so dankbar
wieder an die Oberfläche zurück, welche sie selbst, die sie so offen und
ungeschützt war, hingegen in nur einem Moment aller Kraft beraubte.


3

Nach einer langen Pause kann ich wieder schreiben. Es ist so
schwer, der Drang ist so scheu und die Gedanken sind oft nicht zu halten.
Jedoch, bisweilen begegne ich Dingen oder Menschen, die etwas
auslösen und den Worten soviel Zutrauen einflößen, dass sie wissen,
sie müssen hinaus und nicken: Wichtiges muss gesagt werden. Heute
im Zug spürte ich es, einen Sog, der mich mitten in der Fahrt das
Abteil wechseln ließ, keine störenden lauten Stimmen, keine randalierenden
Menschengruppen, einfach ein Sog und das Bedürfnis sich
dem Leben auszusetzen, das dort etwas mehr und intensiver pulsierte.
Dieses Gefühl erwies sich als richtig und die halbstündige Begegnung
mit einem Mitreisenden, die uns im Gespräch sehr schnell eine gemeinsame
Tiefe im Erkennen der Dinge gewahr werden ließ, löste in
mir so vieles, was so lange geschwiegen hat. Nicht in mir geschwiegen,
aber unhörbar für die andereWelt. Das Gespräch eröffnete keine
neuen Räume, ging vielmehr ähnliche Wegen ab, Gemeinsames und
Vertrautes, jedoch die Seltenheit dieser Begegnungen führte zu folgender
Überlegung, die mich den Nachhauseweg im Galopp nehmen
ließ: Wenn diese Seltenheit da ist, dann ist das, was du fühlst und
siehst wichtig und muss gesagt werden. Denn egal, welchen Menschen
du triffst und wie beglückend die seltene Übereinstimmung ist,
wir alle kommen nur bis zu dem einem Punkt, die gesamte Menschheit
kommt immer wieder zu diesem einem Punkt, und alle denken
dasselbe, aber niemand spricht es aus, niemand weiß, was dann, was
weiter und dennoch spürt man die unermessliche Größe dieses Gedankens.


4

Es ist egal. Das Leben hat es nicht nötig, von uns umschwärmt,
gefunden zu werden. Es hat Zeit. Es wartet nächtens und weiß, Menschen
werden kommen und gehen, es suchen und wieder verlieren.
Es ist geduldig. Es weiß um seinen Schatz. Ich aber brauche es, seine
Nähe, das Gefühl, nahe zu sein. Das Ganze, all das ganze Geheimnis
sehen, ahnen zu können. Es bedarf hierzu keinerlei Magie, keiner
Schlüssel, es ist nur das klare Sehen. Klares, klares Hinsehen. Genau
hinsehen. Seinem Blick vertrauen. Nicht vertrauen all der Stimmen,
die von Außen hineinkommen, die sich mit ihrer Wichtigkeit
eindrängen. Hinsehen. Und sich immer wieder sagen: du hast Recht
und siehst klar, glaub dir.
 

weiter---> 


Karita Guzik